Pfützen
Auf Zehenspitzen umlaufen wir die kleinen Teiche, die der ukrainische Regen auf den Straßen und Gehwegen hinterlassen hat.
Was auf den ersten Blick einem feinen Film ähnelt, entpuppt sich als knöcheltiefes, kaltes Nass. Geflutetes Schlagloch. Der spröde und rissige Asphalt des ersten Tages ist verschwunden und die Straßen schimmern nass-glänzend. Tief unten in den dunklen Löchern unseres Weges liegen die Reste vergangener ukrainischer Alltage: Plastikpapier, Zigarettenstummel und gelbe Herbstblätter.
In den Pfützen des aufgeplatzten Asphaltes spiegelt sich die ukrainische Traurigkeit über ihre Vergangenheit.
Genau wie unsere Stiefel das Regenwasser aufwühlen, so erweckt auch unsere Aufarbeitung Erinnerungen, Gefühle – und mir wird klar, dass mich meine bedachten Schritte zu den tränentiefen Asphaltwunden führen und nicht daran vorbei.
(Sofia Nicolai)