Archivarbeit

altEin leises Blätterrascheln und Stiftekratzen, hin und wieder einige geflüsterte Worte.

Zunächst das Öffnen des äußeren Umschlags – eine kribbelnde Spannung durchläuft meinen Körper – und dann halte ich das Blatt Papier in den Händen, welches mich für die nächsten Minuten und Stunden in eine andere, inzwischen längst vergangene Welt eintauchen lässt.

Jeder Brief eine Überraschung, ob ein zeitlich exakter Bericht über den Kriegsverlauf oder eine so private und schicksalsschwangere Botschaft, dass es mir ungeheuer und viel zu intim erscheint, sie zu lesen und in ein Raster einzuordnen.

Im Hintergrund geistern beständig die Überlegungen herum, ob Absender und Empfänger diesen Krieg überlebt haben, nach Hause zurückkehren konnten und ob sie ihr Leben so führen oder führten, wie sie es sich in diesen Briefen erträumten.

Langsam lasse ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken, lausche dem Blätterrascheln und eine Frage beherrscht mein Denken in diesem Moment:

Halte ich gerade das letzte Lebenszeichen eines Menschen in der Hand, mit dem Wissen, dass es niemals seinen Bestimmungsort erreichte?

(Rosalie V. Fichtner)



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