Erinnerung

alt"Ach lass die Kraniche mit ihrer Trauer ziehn..." singt Eva Maria Hagen in Biermanns Übersetzung eines Jesseningedichtes ganz leicht und unendlich schwermütig. Aber im letzten Raum des Museums zum Großen Vaterländischen Krieg in Kiew ziehen die Kraniche nicht fort. Sie bleiben im Trauerflug über dem gedeckten Holztisch, der auf Patronenhülsen steht, sie bleiben über diesem 27 Meter langem Tisch - ein Meter für jede Millionen Gefallenen. Aus militärischen Segeltuch auf der einen Seite und den bunten Kopftüchern der Frauen auf der anderen Seite gebunden schweben sie erinnernd an die Toten und Überlebenden in langem Zug über den Tisch. Unter den Augen der Gefallenen, 6000 Gesichter, sind die Toten und Lebenden zu Tisch gebeten. Eingedeckt wurde mit dem zerbeulten Soldatengeschirr der Toten und einer Reihe Gläser für die Erinnernden. So sitzt man nun vor den amtlichen Todesnachrichten, vielen "Ruschnik"- den traditionell bestickten ukrainischen Braut- und Totentüchern.

Und die Trauer zieht nicht fort. Noch nicht. Morgen vielleicht.

(Rainer F. Kokenbrink)


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