Andere Sitten

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Das erste Mal durch die Stadt fahren. Die Landschaft anschauen. Eigentlich schlafen wollen jedoch nicht können. Die andere Kultur raubt die Blicke.

Eine kleine kräftige Frau mit besticktem, abgetragenen Rock und einem weiten Kopftuch steht vor einem Blumenfeld. Auf das farbenfrohe, große und wunderschöne Blumenfeld, gießt sie mühsam Wasser. Ich stelle mir den Geruch vor, dieser gepflegten Blüten. Tanzendes Farbenspiel. Mindestens drei Mal pro Tag bekommt es das Kostbarste. Wasser. Dieser kleinen eindrucksvollen Arbeiterin ist keine Arbeit zu schade. Ich kann ihr fröhliches, altes Lächeln spüren. Es breitet sich über ihr faltiges, gezeichnetes Gesicht. Trotzdem scheint sie jung und stark.

Das Wasser holt sie aus einem Brunnen. Ein verfallener, gebrechlicher Brunnen, eindrucks- und kraftvoll wie seine Besitzerin. Er beherbergt kostbares Lebenselexier. Ein riesiges, grünes Ungetüm spannt sich weit mit seiner prächtigen Krone über das Grundstück. Daneben ein weit in die Höhe ragendes, graues Gebäude.

Immer wieder diese Anblicke von bunt und trist. Das einzig Trennende ist das sich weit streckende Gestrüpp. Eine magische Wand zu einer anderen Welt.

Doch dieses kleine Persönchen mit dieser Lebensstärke geht ihren Weg. Diese neuen Dinge, die erfunden werden. Es interessiert diese Frau nicht. Sie wirkt zufrieden. Diese andere Sitte. Bei uns ist sie nicht mehr vorhanden.


Angelina Liesendahl


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